„Ein historisches Zeitfenster hat sich geöffnet“

Asienexperte Dr. Karl Pilny im Interview

 Anja Barlen-Herbig |   |  Interviews , Delegationen , Industrie 4.0 , Galvanik , Umwelt , Metallindustrie , Unternehmen

Er gilt als einer der profundesten deutschen Asienkenner: Dr. Karl Pilny ist seit mehr als 30 Jahren in Asien aktiv. Der Wirtschaftsanwalt und Finanzexperte hat mehrere Bücher veröffentlicht, in denen die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Asien-Pazifik-Region im Fokus steht. In Kürze wird er nach Jieyang fliegen, um sich die Metal Eco City in der süd-chinesischen Provinz Guangdong anzuschauen. Er ist neugierig auf den deutsch-chinesischen Wirtschaftsstandort im Süden von China. Pilny sieht aktuell ein historisches Zeitfenster für deutsche Mittelständler, um auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Vermeintlich niedrige Wachstumsraten, Immobilien-Blase ... für ihn ist das vorübergehendes „Wellengekräusel“ auf  einer tektonischen Plattenverschiebung. Im Interview erklärt er, warum deutsche Unternehmer die Chancen nutzen sollten und wie ein erfolgreicher Zugang zum gesamten asiatischen Markt gelingen kann.



Herr Dr. Pilny, Sie sind ausgewiesener Asienexperte – seit 1980 sind Sie auf dem Kontinent unterwegs. Viele geschäftliche Reisen haben Sie auch nach China geführt. Wie ist Ihre Einschätzung zu den aktuellen Reformbestrebungen des Landes?


Dr. Pilny: Die Entwicklung ist absolut positiv. Ich überblicke einen relativ großen Zeithorizont und was sich in den letzten 30 Jahren in China getan hat, ist enorm. Sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch der Anstieg des Lebensstandards. Als ich in den 1980er Jahren durch die Straßen von Shanghai spazierte, wurden die Straßen bestimmt vom einheitlichen Blau der Mao-Jacken. Nur ganz vereinzelt sah man mal einen lilafarbenen Pullover in der Menge. Farbunterschiede in der Kleidung galten damals als Statussymbol. Nur die Reichen konnten sich bunte Kleidung leisten. Heute ist ganz China bunt. Der Wohlstand der Chinesen hat sich rapide entwickelt. Wie eigentlich alles in China. Als ich Silvester 1994/95 von meinem Büro in Shanghai auf Pudong blickte sah ich eine Sumpflandschaft. Heute ist Pudong eine gigantische Wirtschaftsmetropole mit Flughäfen und weltberühmten Wolkenkratzern. Wenn man bedenkt, wann in Deutschland mit dem Bau des Berliner Flughafens begonnen wurde, sieht man wie beachtlich die Leistung der Chinesen ist. Die chinesische Führung erhält dafür meines Erachtens viel zu wenig Credits. Sie verfolgt eine langfristige Kontinuität und Stabilität und hält damit das Land zusammen. Dafür sollten wir dankbar sein. Diese Leistung wird in Europa oft unterschätzt.



Viele deutsche Unternehmen blicken vor allem auf die niedrigeren Wachstumsraten. Wie sehen Sie die Chancen für deutsche Unternehmen, auf dem chinesischen Markt aktiv zu werden – vor allem für deutsche Mittelständler?


Dr. Pilny: China will wieder an die Weltspitze und das wird es ohne Zweifel auch schaffen. Man muss Ereignisse immer ins Große und Ganze einordnen. Immobilienblase, niedrige Wachstumsraten ... ich sehe das als Wellengekräusel, denn die Gesamtentwicklung ist enorm positiv. Ich kann nur jedem Unternehmer raten, die Chance der Stunde zu nutzen. Die Deutschen sind die prädestinierten Kooperationspartner für China und die Produktionskosten in China sind trotz steigender Löhne immer noch ein Vorteil. Ich sehe drei Märkte für gemeinsame Produkte: den chinesischen Markt, den gesamten asiatischen Markt und Re-Importe nach Europa. Viele deutsche Unternehmen blicken nach wie vor - wenn überhaupt - auf China nur im Export-Modus. Ich sehe die Chance eher darin, ein neues Innovationsbewusstsein zu schaffen und gemeinsam den chinesischen, den asiatischen und den deutschen Markt aufzurollen.

 Der Schutz von deutschem Know-how ist ein vieldiskutiertes Thema.

Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um Übernahmen und „Einkaufstouren“ chinesischer Investoren in Deutschland?


Dr. Pilny: Ich kann die Diskussionen verstehen – natürlich muss eine Regierung ihre Kronjuwelen sichern, das machen andere Länder auch. Deutschland ist da sehr liberal. Aber es ist nicht zielführend , immer nur den anderen einen Vorwurf zu machen. Viele KMUs sind blauäugig und gehen fahrlässig mit ihren Juwelen um. Ich kann nur jedem Unternehmer raten seine Patenrechte in Deutschland zu behalten und in China zusätzlich registrieren zu lassen. Oft wird das Geld gespart. Ja, es wird mitunter  Technologie abgekupfert – doch dies ist kein rein chinesisches Phänomen, es gibt einige Länder, die das betrifft zum Beispiel auch Indien.
Es gibt einen Trend, der sich beobachten lässt: Je mehr Geld ein Land mit Innovationen verdient, umso mehr ist es auf deren Schutz bedacht. In China zeichnet sich dieser Trend bereits ab. Man unterschätzt die kreative Dynamik, die das Land besitzt. Inzwischen kommen Innovationen auch schon aus China – und China ist in der Lage sich Technologien zu holen und etwas Kreatives daraus zu machen.



Deutsche Mittelständler sollte also die Gunst der Stunde nutzen...


Dr. Pilny: Absolut. Es hat sich gerade ein historisches Zeitfenster geöffnet, in dem unsere Technologien gefragt sind. Wir müssen jetzt die Gunst der Stunde nutzen, um gemeinsam Bestehendes zu entwickeln, Neues zu schaffen und gemeinsam Neues weiterzuentwickeln. Es gibt eine Studie, die besagt, dass bei drei Viertel der Hidden Champions in den kommenden fünf bis sieben Jahren die Patente auslaufen...dann wird sich das Fenster voraussichtlich wieder schließen.



Welche konkreten Branchen können Sie deutschen Unternehmern empfehlen?


Dr. Pilny: Es sind verschiedene Branchen, bei denen es sich lohnt, zu investieren – unter anderem Umwelttechnologie, Robotik, Maschinen- und Anlagenbau. Eine gute Orientierung bietet der 13. Fünf-Jahresplan der chinesischen Regierung. Da kann man erkennen, wo es lang geht. Die chinesische Regierung betreibt eine pragmatische Wirtschaftspolitik. Die langfristig gesetzten Ziele werden umgesetzt. Die definierten Branchen werden vorangetrieben. Weil China von einem rastlosen Aufholprozess angetrieben wird, jede Chance nutzt und immer schnell reagiert, um voranzukommen, erscheint uns manches in China sehr kurzfristig gedacht. Doch davor warne ich: China denkt kulturell langfristig und wird die gesteckten Ziele erreichen. Im Fünf-Jahresplan sind die Leitthemen der nächsten Jahre fixiert.



Worauf muss ein deutscher Mittelständler achten, wenn er sein Unternehmen auf den chinesischen Markt ausweiten möchte? Können Sie zwei, drei Tipps geben?


Dr. Pilny: Ich kann nur jedem Unternehmer raten, sich intensiv mit China auseinanderzusetzen. Wir reden nicht über einen einheitlichen Markt, sondern über unglaublich vielfältige Märkte, auf denen 800 Millionen Käufer warten. Man muss sich intensiv mit dem Land auseinandersetzen – dies sollte in jedem Unternehmen Chefsache sein. Das A und O ist ein verlässlicher chinesischer Partner, mit dem man gemeinsam etwas aufbauen kann. Er muss über ein Netzwerk verfügen und die Märkte kennen. Eine Ansiedlung gelingt nicht von heute auf morgen, aber wenn man einen guten Partner an der Seite hat, um einiges schneller.



In der Metal Eco City wird deutschen Unternehmern ein sicherer Zugang zum chinesischen Markt ermöglicht. Auch Sie sind auf die MEC in Jieyang aufmerksam geworden. Mit welchen Erwartungen fliegen Sie nach Jieyang?


Dr. Pilny: Ich bin sehr gespannt! Ich habe schon einige Industrieparks in China kennengelernt und bin voller Erwartung, was ich in Jieyang sehen werde. Das, was ich bisher gehört habe, klingt nach einem vielversprechenden Ansatz – die Verankerung in Politik, Wirtschaft und Kultur ist ein sehr wichtiger Aspekt für den Erfolg eines solchen Projektes. Dieses Zusammenspiel ist in Jieyang auf jeden Fall gegeben. Deshalb möchte ich mir die MEC auch gern persönlich anschauen. Mehr kann ich dazu nach meiner Rückkehr sagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Abdruck honorarfrei – die Verwendung der Fotos ist frei für journalistische Zwecke zur Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Inhalt der Pressemitteilung bei Nennung der Quelle. Bitte schicken Sie uns ein Belegexemplar. Das Interview führte Anja Barlen-Herbig.