„Das Potential für deutsche Unternehmen in Südchina ist groß“

Interview mit Jens Hildebrandt – Delegierter der deutschen Wirtschaft – Kanton

 Anja Barlen-Herbig |   |  Unternehmen , Interviews , Delegationen , Industrie 4.0 , Galvanik , Umwelt , Metallindustrie

Jens Hildebrandt ist Delegierter der Deutschen Wirtschaft – Kanton (Guangzhou) und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China für Süd- und Südwestchina (AHK). Die AHK China begleitet und berät rund 5200 deutsche Unternehmen in China. Im Interview spricht Hildebrandt über seine Erfahrungen in Südchina, zeigt Chancen und Herausforderungen für deutsche Mittelständler auf und erklärt, welches Potential Industriestädte wie die Metal Eco City haben.

Herr Hildebrandt, wenn deutsche Unternehmen in China aktiv werden möchten, denken viele nur an Weltmetropolen wie Peking oder Shanghai. Obwohl auch das Perlflussdelta zu den reichsten Regionen Chinas gehört, rückt der Süden bei der Standortwahl nicht gleich in den Fokus. Welches Potential sehen Sie für deutsche Unternehmen in Südchina?

Hildebrandt: Das Perlflussdelta steht tatsächlich zu Unrecht aus deutscher Sicht häufig im Schatten Pekings und Shanghais. Mit zehn Prozent des chinesischen BIPs hat die Region eine Wirtschaft, die etwa so groß ist wie die ganz Indonesiens. Als eigenständiges Land wäre das Delta außerdem die drittgrößte Handelsnation der Welt, direkt nach den USA und Deutschland. Das Potenzial für deutsche Unternehmen ist dementsprechend groß, nicht zuletzt da aktuell nach wie vor ein Strukturwandel zu höherwertiger Produktion stattfindet und viel in Produktionstechnik investiert wird. Gleichzeitig ist das Perlflussdelta die Heimat chinesischer Innovationsführer. Mehr als 40 Prozent aller 2016 international angemeldeten Patente Chinas kamen von hiesigen Unternehmen. Das bietet neue Chancen zur Zusammenarbeit mit leistungsfähigen lokalen Marktführern, auch zum gemeinsamen Erfolg auf Drittmärkten. Nicht zuletzt ist die Region ein hoch attraktiver Konsumentenmarkt und durch die traditionelle Stärke im Handel ein guter Einstiegspunkt für den gesamten chinesischen Markt.

Umweltschutz, Innovationen, E-Mobilität – in welchen Branchen können deutsche Unternehmer in Südchina in den kommenden Jahren erfolgreich sein?

Hildebrandt: Die Bandbreite Erfolg versprechender Branchen ist groß, nicht zuletzt aus dem bereits genannten Aufwertungsprozess heraus. Das reicht vom Bereich Produktionstechnik, über Umwelttechnik bis hin zur Kreativwirtschaft. Man sollte aber eben nicht nur den lokalen Markt im Blick haben, sondern das Perlflussdelta auch als Sprungbrett für Asien oder weitere Märkte weltweit wahrnehmen. Daher lassen sich die Chancen für deutsche Unternehmer in Südchina schwer eingrenzen.

Made in China 2025“ trifft „Industrie 4.0“ – sehen Sie in den beiden Zukunftsstrategien eher Chancen oder Risiken für deutsche Mittelständler?

Hildebrandt:  Es ist wohl beides. In Sachen Automatisierung und Smart-Manufacturing sind der Großteil der chinesischen Hersteller noch nicht auf dem Niveau des deutschen Mittelstands angelangt. Deutsche Mittelständler können in diesen Bereichen Produkte und Lösungen anbieten, nach denen in der chinesischen Industrie sehr hohe Nachfrage besteht. Hier besteht für die nächsten Jahre noch ein großes Marktpotenzial. Gleichzeitig ist es tatsächlich so, dass chinesische Hersteller gezielt durch „China 2025“ in ausgewählten Branchen zu Marktführern entwickelt werden sollen. Hier gilt es für deutsche Unternehmen die Augen offen zu halten und genau die Entwicklungen in China zu beobachten. In diesen Branchen wird es zunehmend für unsere Unternehmen wichtig, die Innovationsführerschaft auf- und auszubauen.   

Deutsche mittelständische Unternehmen haben oft Angst, auf dem chinesischen Markt zu scheitern. Die AHKs in China betreuen rund 5200 deutsche Unternehmen in China – in Südchina mehr als 600. Was sind erfahrungsgemäß die häufigsten Gründe für ein Scheitern?

Hildebrandt: Viele ausländische und auch deutsche Unternehmen, scheitern auf dem chinesischen Markt, weil sie Geschäftsmodell und -Praxis nicht an die ortsspezifischen Gegebenheiten in China anpassen. Bei Unternehmensgründung, Marketing und Vertrieb lohnt es sich daher einen erfahrenen, ortskundigen Partner an der Seite zu haben der einen auf die Besonderheiten Chinas vorbereitet und entsprechend berät. Des Weiteren wird vor allem von kleineren Mittelständlern unterschätzt, wie ressourcenaufwändig die Betreuung eines Standortes in China tatsächlich ist.  

Der Herdentrieb ist bei deutschen Unternehmern ausgeprägt – es gibt ein Gefühl der Sicherheit, wenn sich in einem Industriepark bereits deutsche Unternehmen angesiedelt haben. Sie kennen die Metal Eco City in Jieyang persönlich. Wie bewerten Sie das Potential der deutsch-chinesischen Stadt des Mittelstands in Südchina?

Hildebrandt:
China ist ein sehr großes Land, daher gibt es meist auch nicht nur einen „passenden“ Standort für deutsche Unternehmen. Die Metal Eco City engagiert sich jedoch sehr aktiv im Kreis deutscher Mittelständler und bietet umfangreiche Dienstleistungen und Unterstützung für angesiedelte Firmen. Gerade solche weichen Faktoren und das lokale Engagement können aber häufig entscheidend sein über Erfolg und Misserfolg von Ansiedlungen. Natürlich ist auch die Nähe und Anbindung an weitere wichtige Zentren in Südchina ein wichtiger Faktor. Von daher sehe ich durchaus gutes Potenzial für deutsche Firmen in Jieyang.

Am 12. und 13. Juni findet in Jieyang die 3. Deutsch-Chinesische Mittelstandskonferenz statt – die AHK Greater China - Guangzhou unterstützt und begleitet den zweitägigen Kongress. Welchen Mehrwert bietet die Konferenz für deutsche Unternehmer – und mit welchen Erwartungen kommen Sie in diesem Jahr nach Jieyang?

Hildebrandt: Ich denke, dass die Konferenz auch in diesem Jahr wieder eine Gelegenheit für deutsche Mittelständler bietet, sich mit chinesischen Regierungsinstitutionen und Unternehmen in Verbindung zu setzen und Geschäftsmöglichkeiten zu erörtern. Wir freuen uns auf interessante Vorträge und ein produktives Matchmaking.

Herr Hildebrandt, vielen Dank für das Gespräch.