Chinas neue Mittelschicht wächst - Trends und Interessen im Fokus

Studie des Wirtschaftsexperten Wu Xiaobo zeigt Entwicklung auf

 Anja Barlen-Herbig; Übersetzung Zhenni Ma |  

Die Mittelschicht in China wächst: Aktuell zählen 109 Millionen Menschen zur Mittelschicht, das entspricht 10,7 Prozent der chinesischen Gesamtbevölkerung. Die Wachstumsrate für Vermögen beträgt in China bis 2020 rund neun Prozent. Wer über mehr Einkommen verfügt, hat gleichzeitig mehr Möglichkeiten und besseren Zugang zu Bildung, Konsum, Reisen. Prof. Wu Xiaobo, anerkannter chinesischer Finanzexperte, Publizist und Verleger, führte im Jahr 2017 eine umfassende Studie zur neuen Mittelschicht durch. 60.000 Vertreter der Mittelschicht nahmen an der Umfrage teil, mehr als eine Million Daten konnten erfasst werden. Die wesentlichen Ergebnisse werden im Folgendem zusammengefasst.

Allgemeine Daten der Umfrage:

54 Prozent der neuen Mittelschicht gehören den 80er-Geburtsjahrgängen an, gefolgt von den 70er und 90er Jahren. 32,91 Prozent leben in First-Tier-Städten (Peking, Shanghai, Guangzhou, Shenzhen), 40 Prozent in den Second-Tier-Städten. Indikatoren für die neue Mittelschicht sind zum einen die Einkommen, zum anderen der Lebensstil, Reisen, Werte, Gesundheitsinvestitionen, Versicherungen usw. Das Netto-Jahreseinkommen liegt zwischen 100.000 bis 500.000 RMB, das Anlagevermögen zwischen 200.000 RMB und 5 Millionen RMB. Für die neue Mittelschicht ist das berufsbezogene Einkommen immer noch die Hauptquelle der Einnahmen, 82,5 Prozent haben jedoch bereits zusätzliche weitere Einkommen.

Konsum:

Ein Upgrade in allen Lebensbereichen ist das bestimmende Thema im Sektor Konsum:

Autos – 72,4 Prozent der neuen Mittelschicht besitzen mindestens ein Auto. Die oberen Preisklassen liegen zwischen 100.000 und 500.000 RMB. 25,6 Prozent bevorzugen deutsche Autos, gefolgt von japanischen (15,8 Prozent) – „Made in Germany“ und „Made in Japan“ steht für „Qualität“ und „Handwerkskunst“. Chinesische Eigenmarken werden von der neuen Mittelschicht nicht bevorzugt. 77,6 Prozent der Befragten, die noch kein Auto gekauft haben, verfügen über ein Budget von 100.000 RMB.

Reisen – 93,3 Prozent der Befragten haben für 2018 Reisepläne –  drei von fünf wollen ins Ausland reisen. Die wichtigsten Ziele für Auslandsreisen sind Europa und die Vereinigten Staaten, gefolgt von Südostasien und Südasien, Japan und Südkorea. 86 Prozent wollen die Reise individuell zusammenstellen und buchen – ohne Reiseveranstalter.

Bildung – Wissen hat bei der neuen Mittelschicht einen sehr hohen Stellenwert, zu lernen und sich selbst zu verbessern spielt eine bedeutende Rolle: 83 Prozent der Ausgaben entfielen auf Bücher, 74 Prozent auf Filme und 62,9 Prozent auf Online-Kurse.

Waren und Dienstleistungen – angesprochen fühlt sich die neue Mittelschicht nicht mehr von Werbung, die über die Massenwerbung verbreitet wird. Beziehungen, Vertrauen und Mundpropaganda sind die Quellen der bevorzugten Information: eigenes Markenerleben (46,8 Prozent), Empfehlungen von Bekannten (42,9 Prozent), Verbraucherbewertungen und Feedback (26,8 Prozent). Platz 1 belegen die neuen Medien wie WeChat mit 58,8 Prozent.

Entscheidungskriterien – die neue Mittelschicht hat eine klare Tendenz zur Rationalisierung. An erster Stelle steht die Qualität (82,2 Prozent), gefolgt vom Preis-Leistungsverhältnis 73,8 Prozent. Die neue Mittelschicht ist bereit auch einen höheren Preis zu zahlen, wenn die Qualität stimmt. Weitere Faktoren für den Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung sind: Zeiteinsparung (77,5 Prozent), Personalisierung, Markenbekanntheit, Offline-Erfahrung und „Look&Feel“- Verpackung.

Karriere und Leben

Die Berufswahl der neuen Mittelschicht wird beträchtlich vom Wohnort, der jeweiligen Stadt, beeinflusst. In den First-Tier-Städten arbeiteten 57 Prozent der Befragten in der IT-Branche, im Finanzsektor, in der Immobilienbranche und in der verarbeitenden Industrie. In den Städten zweiten Ranges waren es nur 51 Prozent. Ursache dafür ist die Konzentration dieser Branchen in den First- und Second-Tier-Städten. Öffentlicher Dienst (6 Prozent) und der Anteil der Beschäftigten in Ministerien und Institutionen (10,3 Prozent) sind in Fist-Tier-Städten geringer als in Second-Tier-Städten.

In Bezug auf Lernen und Selbst-Verbesserung ist für die Befragten ein permanentes Lesen am wichtigsten (63,4 Prozent), gefolgt von der Möglichkeit zum Selbststudium eines Wissensgebietes (59,7 Prozent) und dem Kauf von Online-Kursen auf eigene Kosten (49,9 Prozent). Die Studie zeigt auf, dass das Internet für ein bequemes und effektives Lernen genutzt wird und die Bereitschaft dafür zu bezahlen gestiegen ist.

Bei der Wahl der Arbeitsplätze stehen für 60 Prozent die Faktoren „geeignete Branchen mit Zukunftsperspektiven“, „breitere Plattform“ und „bessere Bezahlung und Karriereoptionen“ im Fokus. Für 10,7 Prozent ist „weniger Arbeitsdruck“ entscheidend.

Zu den Faktoren, die zu Stress am Arbeitsplatz beitragen, zählen an erster Stelle Ängste im Zusammenhang mit „weniger als erwartete Gehaltserhöhung“ (über 40 Prozent) und „keine klare Karriereplanung“ (35 Prozent).

Flucht aus den First-Tier-Städten

46 Prozent der Befragten wollen die First-Tier-Städte verlassen, der größte Anteil kommt hier der Altersklasse 25 bis 29 Jahre zu. Menschen über 35 Jahren haben bereits in der Arbeitswelt und im Lebensumfeld eine feste Basis aufgebaut. Fachkräfte, die von den First-Tier- in Second-Tier-Städten umziehen haben folgende Gemeinsamkeiten: mehr als fünf Jahre Berufserfahrung, das Streben nach höherer Lebensqualität und die Hoffnung auf eine bessere Karriereentwicklung.

Viele Befragte wollen in den First-Tier-Städten Berufserfahrung sammeln, die sie dann bei einem Umzug in die Second-Tier-Städte einbringen können. Die beliebtesten Städte sind Suzhou, Wuhan, Chengdu, Tianjin, Nanjing, Zhengzhou, Xi’an, Hefei und Xiamen. In den First-Tier-Städten ist der Druck bei der Wohnungssuche hoch (40,8 gegenüber 31, 5 Prozent). Mehr als 25 Prozent der Befragten haben sich in den vergangenen zwei Jahren Anlageimmobilien gekauft, 30 Prozent waren in der Lage, die Kosten gemeinsam mit dem Partner aufzubringen. 19 Prozent der Befragten haben noch keine Immobilie zur Eigennutzung gekauft, 22,9 Prozent in den First-Tier-Städten und 15,5 Prozent in den Städten zweiter Kategorie.

Zum Autor der Studie:

Prof. Wu Xiaobo wurde 1968 in Ningbo, Provinz Zhejiang geboren. 1990 graduierte er an der Fudan-Universität in Shanghai. 2002 wurde er Vertragsautor der Bertelsmann Asia Gruppe und gründete er die Blue Lion Publishing Verlagsgruppe, durch die er zahlreiche selbst verfasste Bücher über die Wirtschafts- und Finanzwelt Chinas veröffentlichte. Eines seiner meistverkauften Bücher trägt den Titel "The Story of Tencent". In dem Buch beschreibt er die Geschichte von Tencent, des größten Internet-Unternehmens und Spieleproduzent Chinas. Das Buch erreichte bisher in China eine Auflage von einer halben Million Exemplaren.
Wu ist ein gern gebuchter Redner, weil er es vermag, Wirtschafts- und Finanzthemen anschaulich darzustellen und zu erklären. Seit 2004 unterrichtet er als Gastprofessor an der Harvard Kennedy School. Wu lehrt als Executive Master of Business Administration (EMBA) Professor an der Shanghai Jiaotong Universität sowie an der Jinan Universität. Im Laufe der Jahre hat er zahlreiche Studien zu und in chinesischen Unternehmen durchgeführt. Das Magazin NFpeople wählte ihn im Jahr 2009 zum „China Youth Leader“ des Jahres. Seit 2014 betreibt er den „Wu Xiaobo Channel“ mit mehr als drei Millionen Abonnenten. Aktuellen Entwicklungen der chinesischen Wirtschaft und Finanzwelt stehen im Fokus.